Memory Composition, 2016
Die stetige Veränderlichkeit von Formen der Erinnerung analysiert Nicole Prutsch in ihrer multimedialen Arbeit „Memory Composition“: Ein Passfoto der österreichischen Widerstandskämpferin Irene Harand (1900-1975) ist um ein Vielfaches vergrößert und in 24 kleine Täfelchen fragmentiert. In Anlehnung an das bekannte Memory-Spiel eröffnet sich eine Vielzahl an Möglichkeiten, das Portrait neu zusammenzusetzen; damit legt Prutsch die Konstruktion(en) von Erinnerung frei, befragt die Dimensionen (visueller) Dokumentation von Geschichte, analysiert die – nach dem jeweiligen Standpunkt der Betrachtenden divergierende – Rezeption historischer Figuren und macht letztlich die Vergeblichkeit des Versuches eines allgemein gültigen, zeitunabhängigen Blickes auf die Vergangenheit deutlich. So wurde Harand 1968 von Yad Vashem zwar als “Gerechte unter den Völkern” geehrt, ist aber heute in Österreich einer breiten Öffentlichkeit kaum bekannt und wird ob ihrer Unterstützung des austrofaschistischen Ständestaates höchst kritisch betrachtet. In ihre Installation inkludiert Prutsch auch die 1935 erschienene Publikation Sein Kampf –Antwort an Hitler, in der Harand in Auseinandersetzung mit Mein Kampf auf die immanenten Gefahren der nationalsozialistischen Propaganda hinweist und deren gezielten Einsatz von Lügen aufdeckt. Das von den Nationalsozialisten öffentlich verbrannte Buch, auf deren Autorin ein Kopfgeld ausgesetzt wurde, erhalt durch die 2016 erschienene kritische Edition von Hitlers Propagandaschrift zusätzliche Aktualität. Das Video „The Unremembering of Irene Harand“ (2016) zeigt die Künstlerin auf dem Wiener Judenplatz und Albertina Platz beim Verteilen von Flugblättern, die über Harands Widerstand gegen den Nationalsozialismus informieren. Prutschs Arbeit verdeutlicht das Desiderat einer aktuellen Auseinandersetzung und eines (kritischen) Erinnerns an Irene Harand und zeigt Mittel einer medienreflexiven, künstlerischen Befragung der Geschichte und Geschichtlichkeit auf. – Veronika Rudorfer
